Vom 21. Bis zum 25. November 2022 findet die jährliche Sozialaktion am Berufskolleg Technik statt, in diesem Jahr stellt sich der Autismus Siegen e.V. bei den Schülerinnen und Schülern vor, um vom Krankheitsbild und der wertvollen Arbeit des Vereins mit den Betroffenen an insgesamt vier Standorten zu berichten.
Frau Heidemarie Oerter ist eines der Gründungsmitglieder und schildert im Audimax, wie es zu der Gründung des Autismus Siegen E.V. kam – eines ihrer Kinder bekam nach vielen unerklärlichen Symptomen und Verhaltensweisen die Diagnose frühkindlicher Autismus. Aus ihrer eigenen Betroffenheit und der fehlenden Informations- und Hilfsangebote im Kreis schloss sie sich mit anderen Eltern zusammen. Nach etwa 14 arbeitsamen Jahren konnte schließlich mit dem Bau einer eigenen Wohnanlage in Netphen-Unglinghausen begonnen werden.
Frau Bita da Silva Santos, die Geschäftsführerin, erläutert das Krankheitsbild der Betroffenen, wobei die Krankheit in sehr unterschiedlich starken Ausprägungen auftreten kann. Das Lesen von Mimik und Gestik unserer Gesprächspartner gehört ganz selbstverständlich zur Kommunikation, aus diesen non-verbalen Zeichen können wir sogar sehr viele nützliche Informationen ableiten, doch dieser wichtige Teil entfällt bei Menschen mit Autismus, so Frau da Silva Santos. Sie bespricht anhand unterschiedlichster Beispiele das Krankheitsbild mit den anwesenden Schülerinnen und Schülern und bringt ihnen die Auswirkungen der Krankheit näher. Als es unruhig in der Aula wird, nimmt sie Bezug dazu und erläutert, dass sie das entstandene Gemurmel im Saal ohne Probleme ausblenden kann. Autistische Menschen können die Reize in ihrer Umgebung allerdings nicht filtern, sie nehmen alle Geräusche, alle visuellen Eindrücke und alle Ablenkungen ungefiltert wahr. Das Chaos im Kopf ist daher ständig vorprogrammiert und das Entspannen in einer alltäglichen Situation nicht möglich, sie benötigen daher oftmals einen besonders geschützten Lebensraum, der ihre Bedürfnisse berücksichtigen kann.
Die Bewohner/innen der Wohnanlage in Netphen-Unglinghausen haben großes Glück, denn sie leben in genau dieser Umgebung, die auf sie und ihre spezielle Form der Wahrnehmung eingehen kann. Die 19 Menschen dort bewohnen drei der insgesamt vier miteinander verbundene Häuser, die 2017 eingeweiht werden konnten. Für das Grundstück von etwa 10.000 qm bezahlt der Verein jährlich nur 1 Euro Pacht, ohne dieses großzügige Entgegenkommen hätte dieses wichtige Wohnprojekt nicht finanziert werden können.
Sicherheit und Struktur – diese beiden Faktoren sind für die Menschen in Unglinghausen besonders wichtig. Damit sich jeden von ihnen im eigenen Zuhause zurechtfinden kann, gibt es beispielsweise ein Farbsystem für jedes Haus. Jedem Gebäude ist eine Farbe zugeordnet, diese findet sich an verschiedenen Stellen wieder: bei den Bodenbelägen, den Handtüchern und der Bettwäsche. Ein weiterer sehr wichtiger Bestandteil bei dem Zusammenleben bildet die transparente Tagesgestaltung, so Frau da Silva Santos. Weil die Bewohnerinnen und Bewohner Strukturen nicht abrufen können, sie also ohne Hilfestellung beispielsweise nicht wüssten, wann sie sich die Zähne putzen sollten, wann sie frühstücken sollten, wann sie zur Arbeit fahren sollten und wann sie ihre Freizeit individuell gestalten können, wird jeder Tagesablauf an einer Tafel mittels Bilder visualisiert. Die Bewohnerinnen und Bewohner können zu jeder Zeit auf diese Tafel schauen und sehen, was als Nächstes passiert – ihnen wird die Struktur des Tages somit bewusst gemacht. Frau Oerter und Frau da Silva Santos verstehen sich als Botschafterinnen ihrer Bewohner/innen und möchten ihnen Sicherheit und eine Heimat ebenso anbieten wie Freiräume und Gemeinschaftsräume, die sie ganz individuell nach ihren Bedürfnissen nutzen können. Jeder Mensch ist unterschiedlich und gerade für die Bewohnerinnen und Bewohner in Unglinghausen ist es essenziell, ihnen immer wieder ganz verschiedene Angebote zu machen sowie sie und ihre Bedürfnisse im Blick zu behalten, denn viele von ihnen können sich nicht sprachlich mitteilen, ein bedürfnisorientiertes Leben mit vielen Angeboten aber ohne Zwänge – dafür machen sich die beiden Botschafterinnen stark.
Weil nur der Lebensunterhalt der Bewohnerinnen und Bewohner beglichen wird, nicht aber die Geräte zur Therapie, die benötigten Beschäftigungsmöglichkeiten oder die Gestaltung der Außenanlage, sammelt das Berufskolleg Technik in diesem Jahr Spenden für den Verein. Konkret soll das gespendete Geld für die etwa 6.000 qm große Außenanlage eingesetzt werden, die in großen Teilen noch nicht von den Bewohner/ionnen genutzt werden kann. Pavillons, ein Gehege für Hühner, Stallungen für zwei Therapie-Minipferde, ein Tastweg und weitere Baumelbänke sind angedacht, damit aus den Wiesen ein sicheres Erlebnis für die Bewohnerinnen und Bewohner werden kann.