Jugendliche im Visier der Spielindustrie

„Wie spielt am Wochenende wohl dein Lieblingsverein?“ „Was tippst du?“ Was so harmlos beginnt, wird leider oftmals zum Problem. Die Spielsucht ist eine sogenannte „hidden addiction“, so Dr. Tobias Hayer, Dipl.-Psychologe der Universität Bremen, der die Offenheit des BKT für dieses Thema sehr begrüßte. Jugendliche geraten heute oft unbewusst in den Sog der Spielindustrie, die diese leicht zu beeinflussende Zielgruppe längst für sich entdeckt hat.

Am 18. Juni 2019 durfte das BKT in Siegen das Präventionsprojekt GLÜXXIT begrüßen, welches durch die Dipl.-Sozialarbeiterin und Suchttherapeutin Frances Trümper und den Dipl.-Psychologen Dr. Tobias Hayer vor Ort vertreten wurde. Begleitet und ins Leben gerufen hatten diese Kooperation die Schulsozialarbeiterinnen Nathalie Henrichs und Stefanie Benner vom Förderband Siegen, die bei Bedarf die Schülerinnen und Schüler des BKT betreuen, und die Fachabteilungsleiterin der Ausbildungsvorbereitung am BKT, Rosa Büdenbender. Zum morgendlichen Pressetreffen erschienen außerdem Vertreterinnen und Vertreter der Siegener Zeitung, der Westfälischen Rundschau und des ansässigen Radiosenders. Begrüßt wurden alle Beteiligten durch den Schulleiter, Herrn Manfred Kämpfer, der den Zusammenschluss als sehr wichtig und sinnvoll bewertete, auch wenn das Siegerland zum vermeindlich geschützten ländlichen Raum gehört. Im Anschluss an diesen Termin gab es zwei unterschiedliche, von GLÜXXIT moderierte Veranstaltungen. Die erste richtete sich an Schülerinnen und Schüler und hatte zum Ziel, die Zuhörer für das Thema Glücksspiel zu sensibilisieren, sie aufzuklären und etwas unempfänglicher für den Einstieg in das Glückspiel zu machen. Zur zweiten Veranstaltung durften alle interessierten Lehrerinnen und Lehrer erscheinen, welche die Vertreter von GLÜXXIT als wichtige Multiplikatoren ansahen, weil sie tagtäglich mit der Zielgruppe für die Geldmaschinerie hinter Sportwetten und Co. arbeiten.

Schulen werden heute vor sehr unterschiedliche Aufgaben gestellt und reagieren auch sensibel auf die beruflichen und privaten Probleme der Schülerinnen und Schüler. Viele denken in diesem Zusammenhang an familiäre Probleme, Auseinandersetzungen mit Klassenmitgliedern und schlimmstenfalls an Drogenprobleme, das Thema Spielsucht fristet derzeit noch ein Schattendasein, tritt aber bereits verbreitet auf und zieht vielfältige Probleme nach sich. Das Projekt GLÜXXIT richtet sich ausschließlich an Berufskollegs, welche von den Beteiligten eindeutig als die interessanteste Zielgruppe an den verschiedenen Schulformen benannt wurden. Junge Erwachsene, die erst am Anfang ihrer beruflichen Karriere stehen, erstmals über ein gewisses Kontingent an Geld verfügen, internetaffin sind und ab und an den Einstieg zur Spielsucht über das Onlinegaming finden, in denen sie ihre Spielcharaktere mit besonderen Eigenschaften und Equipment versehen, welches sie online ausschließlich über die Geld- oder Kreditkarte bezahlen. Vor 10 Jahren war die Privatinsolvenz für die Schülerschaft noch ein Fremdwort, heute wissen alle darüber Bescheid, so Frau Büdenbender, die den erzieherischen und pädagogischen Auftrag der Lehrkräfte sehr ernst nimmt.

Die Spielsucht gehört zu der Gruppe der versteckten Süchte und ist somit von außenstehenden Personen nur schwer zu erkennen, so Dr. Hayer, es gibt zunächst keine offensichtlich zu erkennenden Warnhinweise und die Betroffenen führen meist ein Doppelleben, um sie Sucht im Verborgenen zu befriedigen. Andere prahlen durch ihre kognitive Verzerrung geradezu mit dem schnellen Geld durch Sportwetten und ihrer vermeidlichen Kompetenz, die Leistungen der unterschiedlichen Sportmannschaften exzellent voraussagen zu können. Die Spielindustrie überflutet den Markt mittlerweile geradezu mit einem breit aufgestellten Angebot und oftmals wird das eigentliche Thema, das Spielen um Geld, versucht zu verschleiern, so Frau Trümper. Der Wandel der Spielindustrie ist auch am Beispiel der Spielhallen gut zu beobachten. Früher eher stickige, optisch wenig ansprechende Zimmerchen mit einem fast verruchten Ansehen präsentieren sich heute angenehm klimatisiert und fast hotelartig aufgebaut. Einerseits trägt diese moderne Gestaltung zum besseren Image bei, zudem können somit weitere Zielgruppen, die sich früher nicht mit dem schmuddeligen Ruf der Spielhallen identifizieren wollten, angesprochen fühlen. Derzeit herrscht bezüglich des Geschlechts ein Ungleichgewicht, 9 von 10 Spielern sind männlich. „Noch“, wie Frau Trümper betonte, denn auch die Gruppe der Frauen sollen als Zielgruppe und somit auch Geldgeber erschlossen werden, weshalb es mancherorts, beispielsweise in Hagen, eigens für Frauen konzipierte Spielhallen gibt. Insgesamt könne man den jeweiligen Spaten des Glücksspiels noch den Geschlechtern zuordnen, Sportwetten würden beispielsweise fast ausschließlich Männer ansprechen, wohingegen Spielbanken oft auch Frauen zu ihren Besuchern zählen können.

Lehrer/innen und Schulsozialarbeiter/innen hören oft von Pokerpartien oder diversen Wetten, mit denen Schülerinnen und Schüler sich die Zeit vertreiben und schnelles Geld verdienen wollen. Oft geht es dabei, so die Schulsozialarbeiterin Frau Henrichs, um den Wettkampf und das Messen mit Gleichaltrigen. Zudem kann man sich die Wartezeit auf das bestellte Essen in der Pommesbude um die Ecke gut damit vertreiben, das Wechselgeld in den bunt blinkenden Spielautomaten zu stecken, so Dr. Hayer, der noch ein weiteres entscheidendes Problem sieht. Das Online-Angebot arbeitet mit Geldeinsätzen, welche ausschließlich über Geld- oder Kreditkarten zu entrichten sind. Dieses bargeldlose Bezahlen ist nicht unmittelbar in der Geldbörse spürbar, dafür aber bis zur Ausschöpfung des Dispos ständig verfügbar, auch deshalb birgt die Onlineversion des Glücksspiels ein extrem hohes Suchtpotential. Ist das selbst verdiente Geld einmal ausgegeben, der Monat aber noch lange nicht zu Ende, werden nicht selten andere Geldressourcen angezapft. Manchmal treten im Anschluss daran Ausbilder und/oder Eltern an Schulsozialarbeiter/innen heran und berichten beispielsweise von unzähligen Vorschüssen und leergeräumten Sparbüchern, wobei die eigentliche Ursache zu diesem Zeitpunkt häufig noch unklar ist. Studien zeigen, dass etwa ein bis drei Prozent der 12- bis 19-jährigen Jugendlichen Probleme im Umgang mit Glücksspielen vorweisen, wobei hierbei eher die älteren betroffen sind, überwiegend dem männlichen Geschlecht angehören und oft einen Migrationshintergrund aufweisen. Auch wenn dieser Prozentsatz klein ausfällt, sind die Folgen für die Süchtigen nicht zu unterschätzen: Beschaffungsdelinquenz, Privatinsolvenz, Verlust der Arbeitsstelle und weitere damit einhergehende Nöte zerstören ganze Biografien und gipfeln nicht selten, aufgrund des entstehenden Drucks, dem ethisch verwerflichen Handeln und den daraus resultierenden Familiendramen, im Suizid der Betroffenen, so der Experte Dr. Hayer, der seine Promotion diesem Thema widmete. 

Man könne, so die Experten von GLÜXXIT, Betroffene bei dem Weg aus der Spielsucht unterstützen, dafür gäbe es eigene Zusammenschlüsse, beispielweise die Suchthilfegruppe GAME OVER in Siegen. Zudem können Angehörige Abstand zum zwanghaften Spielverhalten schaffen, indem sie das Geld der Süchtigen verwahren und ihnen somit den Einsatz entziehen. Das Installieren diverser Sperren, beispielsweise auf Smartphones und anderen mobilen Endgeräten, und die Sperrung der Person in den umliegenden Spielhallen und Wettbüros sei zudem unbedingt erforderlich. Sind die Spieler noch nicht süchtig, können diverse Beratungsgespräche helfen, ist hingegen bereits ein Suchtverhalten erkennbar, müssen die Betroffenen eine ambulante oder stationäre Therapie auf sich nehmen um zu gesunden. Von einer Sucht kann man sprechen, wenn sich bei einem Spielentzug körperliche Erscheinungen, wie das vermehrte Schwitzen oder eine beobachtbare Unruhe einstellen, so Trümper. Weitere Anzeichen für eine Sucht sind die geänderten Prioritäten, Familie und Freunde erscheinenden Betroffenen immer unwichtiger, im Vordergrund steht das stetige Steigern der Dosis, des Spielens, und das sogenannte Chasing-Verhalten, so Hayer. Ist das Geld erstmal weg, muss man sich irgendwie neues beschaffen, um den Verlust durch den nächsten Gewinn schnell wieder reinzuholen. Aktuell werden etwa zehn Prozent wirklich von einer Therapie erreicht. Alkoholsucht ist, im Vergleich zur Spielsucht, ein anerkanntes Problem – eine auch für die Gesellschaft nachvollziehbare Krankheit. Zeichnet sich eine Sucht ab, gilt es zu reagieren, dabei müssen nicht nur die Betroffenen therapiert werden, sondern auch die Angehörigen, die meist stark unter dem zwanghaftem Verhalten leiden müssen. Im Jahr 2017 gab es in Siegen 26 Konzessionen für Spielhallen und 9.263 Millionen Euro Verluste für die dort zockende Bevölkerung.

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